Marc Zuckerberg hat in seiner Harvard-Rede 2017 dafür plädiert, dass die neue Generation, insbesondere deren Unternehmer*innen, sich mehr dafür einsetzen, Experimentierräume zu kreieren. Er hat von der Millenial-Generation gesprochen (wovon ich ein ultra-klassisches Beispiel bin, und er anscheinend auch) und gemeint «Sinnsuche? Finden wir langweilig. Was uns interessiert ist, Fehler machen zu dürfen, um Neues zu entwickeln.» Ich weiss nicht, ob sich das auf eine ganze Generation ausdehnen lässt, aber mich hat es berührt.
Es ist logisch, dass sich heutzutage alle nach etwas Neuem sehnen. Alles ist im Umbruch und vom Alten funktioniert das Meiste nicht mehr. Es ist auch logisch, dass nichts Neues entstehen kann, wenn «Fehler machen» nicht erlaubt ist. Denn alles Neue entsteht, wenn man auf unbekanntem Terrain etwas riskiert. Ich selber frage mich, wieso ich «Fehler machen ist OK» immer noch als eine äusserst seltene Einstellung halte und noch nicht so warm damit geworden bin. Heute kamen mir zwei Antworten auf diese Frage. Erstens geht es um das Umfeld und zweitens um unbewusste Anteile in mir. Mit dem Umfeld meine ich folgendes: Es gibt, wenn auch wenige, Menschen, in deren Nähe fühle ich mich frei. Sie strahlen dieses «Fehler machen ist OK» mehr aus als andere und ohne, dass sie mir aktiv etwas beibringen wollen, kann ich mich in ihrer Nähe in diesem Feld bewegen und es überträgt sich automatisch auf mich. Und wenn ich dieses Feld mehr in mir aufbaue und aufrechterhalten kann, überträgt sich das auch auf andere. Es ist ein Kollektiv-Ding: Wir machen es idealerweise einander leicht, Fehler zuzugeben, Fehler positiv anzuschauen, Fehler nicht mehr als Fehler anzusehen, und immer mehr zu experimentieren und freier zu leben. Das Fehler-machen-dürfen geht mit dem Freies-Leben-leben Hand in Hand. Und damit kommen wir zu den unbewussten Anteilen: Die Studie mit den «5 Biggest Regrets» (5 Dinge, die ich am meisten bereue) kenne ich seit Jahren. Die Nummer-Eins auf der Liste von Dingen, die Menschen am Sterbebett bedauern ist, nicht sein eigenes Leben gelebt zu haben. Jedes Mal, wenn diese Studie zitiert wird, denke ich mir «Oh ja, stimmt… Ich sollte mehr mein eigenes Leben leben und mir weniger dreinreden lassen.» (von anderen, von Stimmen in meinem Kopf, von dem was ich denke was meine Eltern über mich denken, von der «Gesellschaft» etc.) und dann – passiert gar nichts. Dieses «Oh ja, jetzt tue ich es aber wirklich.» kommt mir vor wie ein schaler Neujahresvorsatz. Und was ich von Neujahresvorsätzen gelernt habe, lässt sich auch auf den Vorsatz «mehr eigenes Leben leben» oder «Fehler machen dürfen» übertragen. Es reicht NICHT, wenn der bewusste Teil von mir (den ich so liebevoll «Ich» nenne), sich entscheidet, sein eigenes Leben zu leben. Der hat das sowieso schon entschieden. Dieser Teil von mir ist zwar stimmberechtigt, aber leider nur einer von vielen… Und die Stimmenmehrheit kommt von den unbewussten Anteilen, die damit nicht einverstanden sind. Es sind Teile von mir, die sich angewöhnt haben Dinge zu denken wie «frei sein ist gefährlich», «Fehler machen ist nicht OK», «wer Fehler macht, wird ausgelacht», «wer Fehler macht, ist inkompetent», «wer Fehler macht, ist unverlässlich», «wer sein eigenes Leben lebt, muss einsam sein», diese Liste könnte unendlich weiter gehen… Mit anderen Worten: ich bin zu einem Prozent entschlossen, Fehler machen zu dürfen und mein eigenes Leben zu entwickeln und 99% ungeübt, mit Freiheit umzugehen oder mit Fehlern OK zu sein. Eine Freundin von mir – wir nennen sie jetzt Monika – macht Improvisationstheater und hat mir dazu eine Geschichte erzählt, die mich berührt hat. Sie zeigt, dass Frei-Sein geübt werden kann. Monika und Martin haben eine Krimi-Szene gespielt. Martin hat damit begonnen, den Tatort zu erklären: Es gab einen Mord und die Leiche liegt noch da. Monika kam auf die Bühne und begann, eine Kommissarin zu spielen. Dabei hat sie vergessen, wohin Martin vorhin mit dem Finger gezeigt hatte, wo die Leiche liegen würde. Sie ist während ihrem Auftritt aus der Sicht der Zuschauer (die sich nach wie vor erinnern, wo die Leiche liegt) ein paar Mal über die Leiche darüber gelaufen. Das war nicht beabsichtigt, von daher «ein Fehler». Die Theaterleiterin meinte zu Monika «Du weisst, dass du gerade über die Leiche gelatscht bist?» Monika zuckte zusammen und dachte «oh shit…», aber die Leiterin meinte «Das ist Super. Du definierst den Charakter, den du spielst. Du bist wohl eine alte Kommissarin, die nicht mehr so gut sieht, Dinge vergisst und gelegentlich über Leichen stolpert. Du hast gerade eine skurrile Rolle kreiert.» Eine Grundregel im Improtheater ist, grundsätzlich immer ein «Ja» zu sein für das, was auf der Bühne bereits passiert ist. Nur so kann eine Szene entwickelt und in kürzester Zeit improvisiert werden. Und ich denke, dass wir viel daraus für unseren Alltag lernen können. Jedenfalls hat Monika eine Fehler-machen-ist-OK-Erfahrung machen dürfen, die sie nicht mehr so schnell vergisst. Und es sind solche Erfahrungen, die wir brauchen, um die Einstellung «Fehler machen ist OK» – und damit «Ich lebe mein eigenes Leben» – zu üben und zu verinnerlichen. Wann hast du das letzte Mal einen Fehler machen dürfen? Erzähle uns. Artemi P.S. Mach nicht den Fehler, das Männer-/FrauenSymposium 2020 zu verpassen! Schreib dir jetzt in deine neue Agenda ein: 8.–10. Mai.
2 Kommentare
harald
19/1/2020 14:24:11
Fehler nicht ok oder okay
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Pablo Hess
19/1/2020 20:28:21
Lieber Harald
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