![]() Verlassenheit ist eines der mächtigsten Gefühle. Menschen, die verlassen werden, können derart erschüttert sein, dass sie ihr Leben nicht mehr auf die Reihe bringen. Oft ist auch das Gefühl der Ablehnung anwesend: «So wie ich bin, bin ich nicht richtig». Diese Erkenntnis schmerzt zu tiefst. Ist dieser Satz noch eine tief eingegrabene Selbstdefinition aus der Kindheit, wird es noch schwieriger. Das Gefühl der Zugehörigkeit geht vollends verloren. Dass in der Verlassenheit jedoch auch eine Stärke liegt, ist in solchen Situationen kaum spürbar. In meiner Arbeit als Gestalt- und Paartherapeut treffe ich oft auf Situationen, in der die Verlassenheit wie ein Monster droht. In solchen Momenten ist das Gefühl noch nicht wirklich vorhanden. Bereits die aufkommende Ahnung des Gefühls, kann zu einer inneren Starre führen und beeinflusst Menschen in ihrem Verhalten, meist verbunden mit einem Rückzug aus dem Kontakt mit einem Gegenüber. Beim näheren Betrachten des Gefühls zeigt sich, dass die Verlassenheit angebunden ist an den vorausgehenden Zustand der Bezogenheit. Ohne die Erinnerung an das Verbundensein und die noch vorhandene Sehnsucht danach, kann das Gefühl für sich alleine nicht existieren. Damit ist es vor allem ein reaktives Gefühl. Jemand in uns träumt immer noch den Traum des Verbundenseins. Wenn wir es zulassen können, hier noch tiefer in die Verlassenheit einzusteigen, näheren wir uns der Einsamkeit. Ein neuer Gefühlsraum öffnet sich, der sich gänzlich anders anfühlt. Tief in der Einsamkeit verschwindet die Sehnsucht nach Bezogenheit und ein weiter, leerer Raum öffnet sich, dem Tode ähnlich. Während in der Verlassenheit der Körper noch mit Enge, Nervosität, sprunghaften Gedanken u.ä. reagiert (hauptsächliche Reaktionen des Sympathischen Nervensystems) tritt in der gefühlten Einsamkeit eine Wahrnehmung auf, die mit «nicht mehr im Körper existent» beschrieben werden könnte. Die inneren Mikrobewegungen werden kleiner, der Atem ist kaum noch spürbar, die Herzfrequenz sinkt (Dorsales Nervensystem). Treten hier Bilder vom Sterbebett auf, sind es Vorzeichen eines sich anbahnenden Friedens. Hier ist es unmöglich wieder zurück in den Zustand der Verbundenheit mit dem Alten zu kommen. Das Kämpfen um das Wegdrücken des Schmerzes, der den Zustand des Verlassenseins begleitet, ist weg. Etwas Körperliches oder Emotionales stirbt. Halten wir diesen Zustand lange genug aus und geben wir dem Körper die Gelegenheit, dass er sich von alleine neu ausrichten kann, übernehmen autonome Körperbewegungen die Führung. Eine zunächst zarte Glückseligkeit kann sich einstellen. Die Erfahrung mit diesem Prozess erlaubt eine neue Wahrnehmung der Welt. Der Mensch, der jetzt auf das Verlassensein schaut, ist nicht mehr der Mensch, der verlassen wurde. Hier beginnt der Aufstieg in eine neue Wirklichkeit, die zu einer neuen Freiheit des Lebens führt. Sind Menschen durch den Prozess der Verlassenheit gegangen, zur Einsamkeit durchgedrungen und haben der darin wohnenden Leere den Raum gegeben, wirkt die Organismische Selbstregulation. Automatisch sucht der ganze Organismus nach Möglichkeiten, das neue Bedürfnis zu befriedigen; das Monster verschwindet. Der Schrecken verliert seine Macht. Dieser Prozess findet sich in vielen Mythen beschrieben. Er wird auch als «der Abstieg in die Unterwelt», als «Tee trinken mit dem Teufel», in der Visionssuche als «Konfrontation mit dem Drachen» oder in der Heldenreise als «Die grosse Prüfung» beschrieben. Allen gemeinsam ist das Erreichen des Ortes, an dem das Kämpfen aufhört. Ein Ort, an dem der Mensch bereit ist zu sterben und sich einer inneren Führung überlässt (in den Mythen meist eine göttliche Führung, ein göttliches Potenzial). Uns interessiert, wie du Verlassenheit und Einsamkeit erlebst. Wie gehst du als Mann mit diesen Gefühlen um? Schreib uns einen Kommentar. herzlich Philipp Steinmann
1 Comment
«Ich suche die Liebe. Ich wünsche mir, lieben zu können. Ich liebe dich.» Was meine ich mit all' dem eigentlich? Heute will ich mit euch meine Lieblings-Definition von Liebe teilen.
Ich habe gemerkt, dass Menschen meistens, wenn sie das Wort «Liebe» benutzen, eines der folgenden drei Dinge damit meinen: Anziehung, Wertschätzung und Commitment. Anziehung ist das, was es uns einfach macht, sich näher zu kommen. Es ist die Biologie, die Polarität, der instinktive Teil der Liebe. Da passiert sehr vieles auf unbewusster Ebene. Wir machen uns in Sekundenbruchteilen ein Bild von der anderen Person und aus den vielen Faktoren (Gesichtsform, Geruch, Bewegungen, Stimme etc.) fällen wir ein Urteil – attraktiv oder nicht. Attraktiv bedeutet anziehend. Da ist eine Kraft am Zug, die wir wahrnehmen und die die meisten von uns nicht verstehen. Menschen wie Mandy Len Catron gehören zu den wenigen, die sich mit den in der Verhaltenspsychologie bekannten «36 Fragen» beschäftigt haben, wissen noch mehr – und zwar wie der Verliebtheitszustand reproduziert werden kann. Die Schmetterlinge im Bauch, dieses Hormon-Cocktail, ist also alles reproduzierbar und wissenschaftlich nachgewiesen. Wertschätzung ist ein weiterer Aspekt von Liebe und kann auch ein Zustand sein. Wenn mir ein Wunsch erfüllt wird oder wenn ich in dem wie ich gerade bin gesehen, verstanden und akzeptiert werde, macht sich eine Zufriedenheit breit, die anders ist als das Gefühl von Verliebtsein. Es ist ein Gefühl von Sicherheit, weil man angenommen wird wie man ist. Wertschätzung kann durch Fokus auf das Positive innerhalb einer Beziehung ausgedehnt werden und grosse Mengen an Glückshormon Oxytozin produzieren. Aber Wertschätzung allein reicht nicht für Liebe. Auch Anziehung allein reicht nicht für Liebe. Offenbar gibt es keine Regel dafür, wie es für die Menschen, die sich verlieben weiter geht. Auch nach all' den Experimenten mit den 36 Fragen: Manche Paare, die sich im Rahmen eines psychologischen Experiments kennenlernen und verlieben, sehen sich danach nicht mehr. Andere daten ein bisschen und gehen auseinander. Wieder andere heiraten und verbringen den Rest ihres Lebens zusammen. Die dritte Bedeutung von Liebe ist Commitment. Es ist die Entscheidung, eine andere Person quasi als Teil von sich selbst anzuschauen. Ein Gegenüber so zu behandeln, als wäre sie/er Teil von mir – das ist meine Lieblingsdefinition von Liebe. Den Zusammenhang zu den anderen beiden Definitionen finde ich besonders schön: Anziehung und Wertschätzung werden beide oft für Liebe gehalten, weil sie das Commitment vereinfachen. Im Zustand von Verliebt-sein oder im Wert-geschätzt-werden ist es so viel einfacher, ein Commitment abzugeben. Es ist naheliegend, sich für eine Person zu entscheiden, die gerade macht, dass ich tagelang auf Wolken spaziere oder die es schafft, dass ich mich sicher und geborgen fühle. Erst durch das Commitment, durch die Entscheidung, jemand zu lieben, macht sich eine Beziehung auf, die Platz hat für wiederholte Momente von (bewusst oder unbewusst) kreierter Anziehung, für wiederholtes einander Wertschätzen und für vieles mehr <3. Artemi ![]() Per Zufall bin ich auf die Webseite www.movember.com gestossen und bei der Aussage hängengeblieben, die mich betroffen machte: «unsere Väter, Brüder, Söhne und Freunde sterben durch Suizid. Jede Minute eines jeden Tages». Und in der Schweiz? Gemäss dem Bundesamt für Statistik* waren im Jahr 2017 von 1043 Suizidfällen 773 Männer und 270 Frauen, also fast dreimal so viele. Und nicht erfasst ist suizidales Verhalten wie riskantes Autofahren oder verlangsamte Reaktionen, die knapp am Tod vorbeiführen. Damit könnte man sagen: Suizid ist vor allem Sache der Männer. (Obwohl bei Frauen dreimal so häufig eine Depression diagnostiziert wird). Auch in meiner Praxis stelle ich immer wieder fest, das Suizid mehrheitlich ein Thema von Männern ist. Bei der überwiegenden Mehrheit sind es «nur» gedankliche Alternativen, die nicht in eine Handlung führen. Trotzdem ist es erschreckend, dass so viele Männer als Ausweg aus einer Situation den Suizid als Möglichkeit erachten. Mit welchem männlichen Selbstbild sind Männer unterwegs, dass der Suizidgedanke das Ende einer Gedankenkette ist, wenn andere Lösungsmöglichkeiten nicht mehr greifen? Was haben wir Männer nicht gelernt? Die Suizidforschung zeigt, dass das Glück der Männer an den Frauen hängt. Denn Männer, die sich das Leben nehmen, sind in den allermeisten Fällen unfreiwillig Single: verwitwet, geschieden, getrennt. Verlassene Männer stehen oft vor dem sozialen und emotionalen Nichts. Gilt dies nur für Heteromänner oder grundsätzlich für Männer in Beziehungen? Statistische Zahlen liegen hier nicht vor. Es ist jedoch auffällig, dass Männer wesentlich schlechter und weniger Hilfe suchen als Frauen. Der starke Mann, der nicht über seine Nöte spricht, alles mit sich selber ausmacht und keine Schwächen im Aussen zeigt? Zumindest in unserer Kultur ist trotz vielen Fortschritten immer noch der Leistung erbringende und damit meist verpanzerte Mann ein alltägliches Bild. Mann geht weitgehend immer noch davon aus, dass ER das Problem lösen muss und kann - sei es im familiären oder beruflichen Umfeld. ER ist zuständig für Lösungen, Problembeseitigung und Einkommenssicherung. Zugrunde liegt ein Leistungsanspruch, der zutiefst eingraviert ist in neuronale Bahnen und täglich im beruflichen Umfeld gefordert wird. Doch die mehrheitlich lineare Leistungslogik aus der Berufswelt lässt sich nicht auf die Seelenwelt übertragen. Trotzdem versuchen viele Männer mit diesen Mitteln sich durch die Gefühls- und Beziehungswelt zu navigieren. Wie anders wäre es, wenn Mann nicht den Anspruch hätte, dass ER Probleme selber löst? Wie anders wäre es, wenn Mann gleich zu Beginn einer Ungereimtheit Unterstützung und Hilfe holt. Und ich spreche hier nicht nur von seelischen Nöten, sondern auch von alltäglichen Dingen. Wenn Mann sich selber genug Freund wäre und den Anspruch aufgibt, die Dinge alleine regeln zu müssen. Doch vielen Männern fällt es ungleich schwerer als Frauen, Bedürftigkeit und Hilfslosigkeit zu zeigen. Dazu braucht es die grundlegende Voraussetzung die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und benennen zu können. Wer das nicht kann, kann nicht darüber sprechen. Und die Männerforschung zeigt auch, wenn Männer sich jemandem öffnen würden, dann meist den Frauen gegenüber. Leider. Doch Männer brauchen andere Männer, denn Männer fragen und reden anders als Frauen. Bei der Unterstützung Mann zu Mann genügt es nicht, männliche Verhaltensrezepte und archetypische Männerbilder zur Verfügung zu stellen. Diese greifen zu kurz. Die Gefühlswelten und Situationen sind zu komplex und die Anforderungen zu vielfältig. Eines sollte mittlerweile gewiss sein: Mann kann nicht mehr allein sich selbst und die Welt retten. Wir brauchen den gemeinsamen Dialog über das was uns Angst macht. Wie gehen wir Männer mit unlösbaren Problemen um? Wir brauchen konstruktive Dialoge um herauszufinden, wie wir uns gegenseitig empathisch unterstützen und begleiten können, um aus der Versagensspirale des Leistungsanspruches herauszufinden. Wenn der Titel zu diesem Text stimmt, haben sich in der Zeit, in der du diesen Text liest, fünf Männer das Leben genommen. Das betrifft, macht mich nachdenklich und auch hilflos. Und wenn ich davon ausgehe, dass ein wertfreies Zuhören diesen Männern geholfen hätte, macht mich das einerseits noch trauriger und andererseits ruft es mich auf, Gespräche zu initiieren und zuzuhören. Wie gehst du mit psychischen Belastungen um? Erzähle uns oder schreibe direkt einen Kommentar im Blog. herzlich Philipp *https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit.assetdetail.11348855.html Einen weiteren Artikel über Männersuizid habe ich hier gefunden: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article140153773/Warum-die-Suizidrate-bei-Maennern-hoeher-ist.html ![]() Welcher Mann kennt nicht diese starke, beinah überwältigende Sehnsucht nach einer Frau (oder nach einem Mann für homosexuelle Männer)? Plötzlich und überraschend kann dieses Phänomen auftreten und den Tages- und Gedankenlauf ganz schön durcheinanderbringen. „Wenn ich mit dieser Frau wäre, dann......“. Die Fantasie nimmt nicht nur im Kopf viel Raum ein, auch der Körper reagiert augenblicklich. Es gibt ein Ziehen im Bauch, die Augen weiten sich, der Penis regt sich und die erträumte Frau erscheint vor dem inneren Auge. Hollywood ruft mit wildem Sex auf dem Küchentisch und die ungebundene, befreite Lust sucht sich einen Weg zwischen die Beine der Frau, zumindest in der Fantasie. Liebesgefühle im Innern Die Frau erscheint als das Ideal das Träume erfüllt. Dieses wird oft mit Liebesgefühlen verknüpft und auch sexuell aufgeladen. „Ich liebe dich“ und „Ich begehre dich“ werden zum Träger einer Vorstellung. Beim näheren Betrachten dieses Vorgangs ist es jedoch nicht die vorgestellte Frau, die Erfüllung verspricht, sondern der Prozess im Innern des Mannes. Die Anwesenheit des idealen Bildes ermöglicht in sich selber Gefühle zu entwickeln. Hier entstehen Liebesgefühle, erotische Bilder und die Sehnsucht nach Geborgen- und Verbundenheit. Die Gefühle sind im Mann drin, nicht ausserhalb. Doch wenn Mann nicht gelernt hat, Gefühle anzuerkennen und in seinem eigenen Innenraum zu halten, agiert Mann sie nach aussen - egal ob Verliebtheit oder Wut. Ähnlich verhält es sich mit dem Verteilen von Komplimenten und Flirten. Als Instrument der Verführung und des Annäherungsprozesse sind beide schlussendlich nichts anderes als der Versuch, den eigenen Innenraum beglückend, wohlwollend und sich selbst zugewandt zu bewohnen. Beide verleihen dem Akteur ein Gefühl von Schönheit, Interesse und Selbstwirksamkeit. Und wenn die Verführung von Erfolg gekrönt wird und Mann kommt an, verstärkt dies noch mehr das Gefühl von erfülltem Mann-Sein. Ich liebe mich So schön und lebendig diese Gefühle auch sind, sie haben einen Nachteil. Mann verschiebt die eigene Liebes-Lebendigkeit nach aussen und delegiert das Erfüllen seiner Sehnsucht an Frau. Das ist antrainiert und wird in jedem Liebessong und -film tausendmal aufs Neue bestätigt. Das muss nicht sein, denn Mann kann sich selbst erfüllen. „Ich liebe dich“ und „ich begehre dich“ werden zu „ich liebe MICH“ und „ich begehre MICH“. Wenn solche Sätze zu einer inneren Haltung werden, bekommt Frau eine ganz andere Rolle zugeteilt. Sie wird nicht mehr zu einer Erfüllerin einer Sehnsucht, sondern zu einem durch sie selbst definierten Gegenüber. Die nach aussen gerichtete Sehnsucht umzudrehen und auf sich selbst zu richten, kann bedeuten, zuerst einen Schmerz zu spüren. Denn was anfänglich wegfällt, ist das Bild der Frau, die dem Mann unbewusst die Sehnsucht erfüllt. Eine Leere öffnet sich, denn Mann kann sich nicht einfach auf der Stelle selbst lieben. Innere Arbeit ist angesagt. Den Brustraum mit dem Gefühl der sehnsuchtsvollen Liebe und der sexuellen Lust zu füllen, ist nicht jederManns Sache. Gelernt haben Männer dies zumindest sehr selten. Das muss erst trainiert werden und könnte so aussehen: Ich bin mein eigener leidenschaftlicher Liebhaber in meiner eigenen Seele. Ich fresse mich selber voller Leidenschaft. Ich liebe mich so sehr, dass ich nicht mehr weiss, wo mein Kopf steht. Ich begehre meinen Körper lustvoll in jeder Falte und mit jeder Zelle. Ich liebe meinen Geruch, meinen Gang, mein Lächeln, mein Denken, meine Schwächen. Sich selbst ernst nehmen Eine für unsere kirchlich geprägte Kultur wohl gänzlich ungewohnte Haltung. Doch nimmt Mann seine Sehnsucht und sein Begehren ernst und will sie selbstverantwortlich leben, bleibt ihm dieser radikalisierte Weg, zumindest so lange, bis Selbstliebe und Selbsterotik integriert sind. Mann geht nicht zurück auf die Frauenseite um sich dort Erfüllung zu holen, sondern bleibt auf der männlichen Seite mit freudigem Blick zu den Frauen - Mann bewegt sich anders in der Welt, wird selbstbestimmter in Beziehungen, wird sich selbst zum Erfüller der Sehnsucht. Und Frau? Sie wird zu einem freudvollen, begegnenden Gegenüber, das Mann inspirieren kann, ob in einer Partnerschaft oder in einem Flirt. Wie erlebst DU das Gefühl von Verliebtheit und wie gehst DU damit um? Schreibe direkt einen Kommentar im Blog. Philipp Steinmann ![]() Viele Jahre war ich der Überzeugung, dass die Herausforderungen in meinen Liebesbeziehungen im dualen MenschSein begründet liegen. Wir haben uns auf dieser Welt in ein duales System inkarniert und unterliegen somit auch seinen Gesetzmässigkeiten. Der wesentliche Unterschied zwischen Dualität und Polarität war mir nicht bewusst und so habe ich Beziehungen immer in der trennenden und urteilenden Wirkung der Dualität verstanden. Die Konsequenz war stets entweder Anpassung oder Streit. Heute bin ich überzeugt, dass Dualität eine der vielen menschlich kreierten Bezeichnungen für etwas ist, dass wir noch nicht integriert und mit Bewusstsein gefü(h)llt haben. Sie basiert auf Urteilen, die je nach Ansicht und Konditionierung unterschiedlich sein können. Per Definition ist Dualität eine Zweiheit von sich gegenseitig ausschliessenden Gegensätzen. Doch gibt es solche «Zweiheit» überhaupt in einer holistisch ganzheitlichen Sichtweise? Darüber können wir auf dieser Plattform philosophieren. Die Wirkung von Dualität kennen wir. Oft schafft sie Trennung, Konflikte oder Streitgespräche. Ebenso fragwürdig wie die Dualität erscheint mir der Wunsch nach Einheit. Auch hier die Frage, gibt es in einer holistischen Sichtweise Einheit oder EinsSein überhaupt? Wo hört das Individuum auf und wo fängt das All-Eins an? Die Polarität – anders als die Dualität – bildet eine sogenannte relative Einheit von sich gegenseitig ergänzenden oder anziehenden Gegensätzen. Während Dualität die Gegensätze in zwei Hälften trennt, umfasst die Polarität das gesamte Spektrum als ein sich gegenseitig bedingendes Ganzes. Somit ist die Wirkung der Polarität, trotz der Gegensätze, eine sich ausbalancierende Ordnung. Gleichgewicht ist deshalb nicht das Eliminieren von Gegensätzen, sondern die Konsequenz einer gesunden, aufeinander bezogenen Polarität. Was heisst das für meine Beziehungskultur? Die Auseinandersetzung mit den Gegensätzen hat leider nicht aufgehört, jedoch gibt es die irrtümliche Suche nach Einheit nicht mehr. Diese wurde ersetzt durch die Suche nach lustvollen und kreativen Ergänzungen, die sich aneinander erfreuen anstatt sich zu bekämpfen oder anzupassen. Das macht wesentlich mehr Spass und auch mehr Sinn. Die Bedeutung einer gesunden Polarität in Männer-Kreisen können wir hier ebenfalls untersuchen. Oft erlebe ich in Gemeinschaften den Wunsch, gesehen, erkannt und bestätigt zu werden, sowie gleicher Meinung zu sein. Scott Peck[1] würde dies die Anpassungs- oder Pseudophase nennen. Jede lebendige Beziehung braucht eine Auseinandersetzung mit der Polarität. Hier war und ist mir der Gemeinschaftsbildungsprozess von Scott Peck ein wunderbarer Lehrer und Spielgefährte, den ich in der Praxis und im Coaching, aber auch zu Hause mit meiner Frau sehr oft mit einbeziehe. Bei dieser Arbeit durchläuft eine Gruppe vier prägende Lebensphasen, die Pseudo- oder Anpassungsphase, das Chaos, die Leere oder Stille und die Authentizität. Wir alle kennen diese Momente im Leben. Einen konstruktiven Unterschied erfahren wir durch die bewusste Auseinandersetzung damit und das Erkennen der «Geschenke» dieser Phasen in Beziehungen oder Gemeinschaften. In einem späteren Blog gerne mehr darüber. Was sind Deine Erfahrungen und Erkenntnisse in Bezug auf Dualität und Polarität? Herzliche Grüsse Pablo Hess Pablo unterstützt Menschen und Gruppen in Krisen und bei Lebensübergängen mit integrativer Prozessbegleitung und Körperarbeit. Er ist Initiant des MännerSymposiums Schweiz und hat dieses Jahr für die Integrale Politik Schweiz auf einen Sitz im Nationalrat kandidiert. www.pablo-hess.ch [1] Gemeinschaftsbildung: Der Weg zu authentischer Gemeinschaft Taschenbuch ISBN: 9783981686029 von Götz Brase (Herausgeber, Mitwirkende), M. Scott Peck (Autor), Samuel Widmer (Mitwirkende), Lilut Janisch (Übersetzer), Olaf Jungbluth (Übersetzer), Anne Lohmann (Übersetzer) ![]() Kürzlich erlebte ich einen dieser schönen Abende, an dem Männer und Frauen mit einem forschendem Geist über Beziehung reden. Einmal mehr kam dabei das Thema zur Sprache, dass Männer die Anliegen der Frauen nicht genügend ernst nehmen und nicht erreichbar sind. Dabei bemühen sich die Frauen doch so sehr, alles verständlich und plausibel zu erklären. Sie wiederholen sich, suchen andere Worte und einen anderen Zugang zum Thema und trotzdem kommen sie bei den Männern nicht richtig an. Was anfänglich als gutes Gespräch beginnt und Mann reflektierend und einfühlsam beteiligt ist, ändert sich irgendwann in ein «nicht mehr hören können.» Das frustriert Frau und entweder sie entscheidet sich zum wiederholten Nachbohren oder sie wendet sich ab über das Unverständnis des Mannes. Frau fühlt sich stehengelassen. Es ist nicht so, dass Männer nicht hören können oder wollen. Ganz im Gegenteil; die meisten Männer in Beziehungen sind daran interessiert, was ihre Frauen zu sagen haben. Männer möchten Beziehungen leben, mitgestalten, in Kontakt sein und sich weiter entwickeln. Doch warum hört Mann nicht mehr zu? Die meisten Kontaktabbrüche geschehen weil der «interne Arbeitsspeicher» des Mannes voll ist. Und dieser ist wesentlich kleiner als bei Frauen. Dies liegt an den neuronalen Verknüpfungen. Auch bei mir beobachte ich fasziniert immer wieder den Prozess, wie ich gehörte Informationen schlichtweg zur Seite lege. Das Gehirn funktioniert so, dass es möglichst wenig Energie braucht. So werden u.a. Informationen auf ihren Gebrauch geprüft: Was ist für Mann wichtig und bedeutend? Falls die Impulse, warum auch immer, als nicht interessant erscheinen – DELETE. Wenn Mann bereits seit einiger Zeit mit Frau in einem Gespräch ist und es harzt und beide verstehen sich nicht, nähert sich der Arbeitsspeicher bedenklich nahe seiner Erschöpfung. Mann merkt, dass er nicht mehr richtig zuhören kann, die Konzentration nimmt ab und ein selbstfahrendes Gedankenkarussell dreht sich. Anfänglich versucht er vielleicht durch Nachfragen oder Wiederholungen des Gehörten am Ball zu bleiben. Doch wenn dann noch «schwierige» Gefühle dazu kommen, ist einfach Schluss. Da geht nichts mehr rein. Was bleibt Mann anders übrig als sich zurückzuziehen. Dies ist selten eine gewollte, bewusste Entscheidung. Vielmehr ist es eine Notwendigkeit die sich daraus ergibt, dass der Arbeitsspeicher schlichtweg voll ist. Das wäre an und für sich noch kein Grund für dramatische Beziehungssituationen. Schwierig wird es hier, wenn das Gegenüber dies als Desinteresse an der Beziehung oder am Kontakt interpretiert. Was es braucht, ist die Fähigkeit des Mannes, frühzeitig zu merken, dass sich der interne Arbeitsspeicher jetzt gerade gefährlich anfüllt. Es braucht ein «Stop, halte mal inne mit Reden. Ich muss erst mal verarbeiten, was ich gehört habe.» Meist folgt dann eine kürzere oder längere Zeit der Neusortierung. Das Gehörte wird an seinen richtigen Platz gebracht – an den für Mann richtigen Platz. Dann erst ist Mann wieder in der Lage weiter zuzuhören. Und oft macht es Sinn, das Gespräch wieder dort aufzunehmen, wo das Zuhören noch ein Verstehen war. Es ist für eine Beziehung hilfreich, wenn Mann in solchen Situationen eine Anleitung an das Gegenüber aussprechen kann, was er jetzt gerade braucht. Das heisst, dass Mann Verantwortung übernimmt gerade für diesen Moment des Gespräches und damit für die Beziehung. Ansonsten bleibt ihm nur noch der Rückzug, in der Hoffnung, dass er seinen Arbeitsspeicher leert, um aufs Neue wieder im Gespräch zu sein. Philipp Steinmann www.philippsteinmann.ch Link zum Gehirn: https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/gewohnheiten/gewohnheiten-hirnforschung-100.html ![]() Männer fällt es meist leichter, Dinge, Verhalten, Situationen zu erklären als sich selbst wahrzunehmen. Die Frage „Warum ist etwas so und so“ ist wesentlich leichter zu beantworten als „Wie geht es mir jetzt gerade in diesem Moment“. Die Antworten auf das Warum lassen viele Ansichten zu: weil, ... und weil, ... und weil, .... und schon hat Mann ein paar Stunden verdiskutiert ohne dem Wahrnehmen näher gekommen zu sein. Männer benutzen oft diese Möglichkeit, um sich aus dem Kontakt mit dem Gegenüber oder mit sich selbst zu nehmen. Und ein weiterer wichtiger Aspekt des Erklärens: Es reguliert die Rangunterschiede. Wenn Männer in Situationen sind, in denen es unbequem wird, hilft das Erklären. Damit wird die möglicherweise gefährdete Selbstsouveränität wieder hergestellt. Das alles passiert unbewusst, sozusagen im Autopilot. Als Therapeut erlebe ich viele Beratungssituationen, die richtig brenzlig werden können. Wenn plötzlich unangenehme Wahrheiten fühlbar werden, kann es ganz schön heiss im Mann werden. Das nach aussen dargestellte Selbstbild steht plötzlich auf wackligen Füssen. Mann fühlt sich ertappt, Scham steigt hoch und Not ist am Mann. Was hilft ist die Flucht ins Erklären. Doch nicht die eigene Innenwelt wird erläutert, sondern das „Warum“ – weil..., und weil... und weil... Das schafft die nötige Distanz zur Situation, zu den Gefühlen und generiert Sicherheit, zumindest im Moment. Doch leider ist das Erklären als reine Kopfsache nicht gerade hilfreich und schafft vor allem eines: Distanz zum Gegenüber. Vielmehr würde es helfen, sich einzugestehen, dass Mann nicht wissend ist oder nur halbwissend oder unsicher oder ängstlich oder hilfslos... Oder anders gesagt, indem Mann zum Erklärer wird, wird er zum Retter – der Mann, der weiss wie die Welt funktioniert. Dieses Verhalten wird Männern von klein an beigebracht. All unsere männlichen Vorbilder aus der Kindheit und Jugend sind Männer, die uns erklärt oder vorgelebt haben wie es geht. Sie können Fussbälle jonglieren, Maschinen auseinander nehmen oder wissen sich auf der Bühne zu bewegen. Von all ihnen lernen wir: Um gut zu sein, müssen wir etwas drauf haben. Und da Männer nicht in die Gefühlswelt hinein erzogen werden (diese steht primär Mädchen zu), lernen Männer nach logischen und erklärbaren Zusammenhängen zu streben. Damit erarbeiten wir uns als erwachsene Männer Ansehen und einen hohen Rang. Entsprechend arbeiten viele Männer in Berufen, die Logik und strukturierte Abläufe beinhalten. (Damit ich richtig verstanden werde: Ich möchte hier nicht das Wissen als solches negieren, sondern die Art und Weise, wie Männer mit ihrem Wissen haushalten.) Eine weit verbreitete Art unter Männer ist das Mansplaining (man + explaining). Wikipedia übersetzt mit: „Der Akt, etwas herablassend zu erklären, insbesondere durch einen Mann gegenüber einer Zuhörerin, um sachkundig zu erscheinen oder aus der irrtümlichen Annahme heraus, dass sie ein minderwertiges Verständnis des Themas hat“. Wenn Mann also ungefragt erklärt, ist es nicht nur die beschreibende Art des Redens, sondern auch die Herstellung eines höheren Ranges gegenüber Frauen. „mansplaining ist eine schwierige Erkrankung. Dabei versuchen Männer Frauen ungefragt die Welt zu erklären – auch dann, wenn die viel mehr Ahnung haben. Die Krankheit ist nicht ansteckend, aber eine richtige Medizin gibt es auch nicht (außer vielleicht Einsicht). „ Autor unbekannt Doch dies ist keineswegs eine nur auf Männer bezogene „Krankheit“, auch Frauen tun dies. Wikipedia schreibt zu womansplaining: „Herablassende Erklärung von etwas durch eine Frau, insbesondere gegenüber einem Mann“. Welcher Mann hat nicht schon erlebt wie Frau sich über Küchengeräte oder Kinderbetreuung detailliert äussert, obwohl Mann längst damit vertraut ist. Zugegeben: In meinem Erleben finde ich dieses Verhalten weitaus weniger bei den Frauen als bei den Männern. Was hilft, sich vor dem Erklären zu versichern, ob Frau auch wirklich hören will, was Mann zu sagen hat. Philipp Steinmann |